Die Welt entwickelt sich kontinuierlich weiter. Also müssen wir darauf vorbereitet sein, um von diesen Trends nicht abgehängt zu werden“ SEIYA SHINABE die Größe der Zellen. Hunderte dieser Merkmale mussten von uns „erfunden“ werden. Wir befragten Anwender, um herauszu finden, wie sie Zellen klassifizieren, und versuchten, deren Ant worten in etwas zu übersetzen, das der Computer verstehen konnte. Eine weitere Herausforderung bestand darin, heraus zufinden, welche Merkmale nützlich waren und welche nicht. Denn je mehr Merkmale, desto größer das Netz, was wiederum mehr Rechenzeit und mehr Zellen beim Training erforderte. Inwieweit kann die automatisierte Datenanalyse Muster und Trends erkennen, die dem menschlichen Auge möglicherweise entgehen? SHINABE Das menschliche Auge kann, wenn es geschult ist, selbst die kleinsten Unterschiede erkennen, sodass es für die automatisierte Datenanalyse nicht leicht ist, sie zu übertref fen. Es ist jedoch möglich, dasselbe oder ein annähernd glei ches Niveau zu erreichen. Einer der Vorteile der Automatisierung besteht darin, dass Parameter quantifiziert werden können, was es ermöglicht, Ungleichmäßigkeiten in der Beurteilung zu verrin gern und die Qualität der Analyse jederzeit stabil zu halten. Welche Schritte der Bildaufnahme und -analyse werden bei der Verwendung eines DI-60 durch künstliche Intelligenz unterstützt? STRÅHLÉN CellaVision verwendet eine Art von KI, die übli cherweise als maschinelles Lernen bezeichnet wird. Wie der Name schon ausdrücken soll, geht es darum, einer Maschine – dem CellaVision Analysesystem – beizubringen, Objekte zu erkennen oder zu klassifizieren. Wo das maschinelle Lernen ein gesetzt wird, hängt ein wenig von der Plattform ab: Beim DI60 ist der offensichtlichste Teil die Vorklassifizierung der Leukozy ten und Erythrozyten. Weniger bekannt ist, dass auch bei der Fokussierung der Bilder maschinelles Lernen genutzt wird, um den Autofokussierungsprozess zu beschleunigen und so einen höheren Durchsatz der Analysesysteme zu ermöglichen. Welche Vorteile haben die automatisierte Blutbild- und Muster- analyse für das Labor und den Patienten oder die Patientin? SHINABE Ganz klar, in den Laboren tragen sie zur Verbesse rung der Testqualität und natürlich zur Entlastung der Labor mitarbeiter bei. Seit der Einführung des DI-60 sind mehr als zehn Jahre vergangen, und das System wurde in einer Reihe von Ländern eingeführt, was zu einer verbesserten Effizienz und Standardi- sierung der Aus strich prüfung beigetragen hat. Was halten Sie als Entwickler von diesen Erfolgen? Vor welchen Herausforde- rungen stehen Sie in der Zukunft, um die Blutbildanalyse weiter voranzutreiben? SHINABE Wir freuen uns sehr, dass der DI60 überall auf der Welt im Dienst unserer Kunden eingesetzt wird. Das System ist bisher vor allem in Europa und den USA verbreitet. Aber uns ist bewusst, dass es unsere Aufgabe ist, seine Einführung in anderen Regionen in Zukunft weiter voranzubringen. Um dies zu erreichen, müssen wir die Herausforderungen meistern, die mit der weiteren Automatisierung der Blutmorphologietests verbunden sind. STRÅHLÉN Unsere größte Herausforderung ist, dass sich die Experten einigen, welcher Klasse die KI schwierige Zellen zuordnen soll. Dafür brauchen wir gute GroundTruthDaten, also genügend Zellen aller Klassen, darunter auch sehr seltene. Diese stammen wiederum aus Labors, die viele unterschiedli che Färbe und Probenvorbereitungstechniken verwenden. Auf dem derzeitigen IVD-Markt ist das Marktumfeld für die praktische Anwendung von KI-Technologien nicht hinreichend förderlich: In den verschiedenen Ländern gibt es keine einheit- liche Meinung darüber, wie die entsprechenden Vorschriften für KI umgesetzt werden sollten. Besteht die Möglichkeit, KI in Zukunft bei der Automatisierung der Blutbildanalyse einzusetzen? SHINABE Ich denke, es gibt viel Potenzial. Wir müssen die Vor und Nachteile des Einsatzes von KI klären und dann bestim men, welche Probleme sie für unsere Kunden lösen kann, und das nicht nur in der Blutbildanalyse. Es gibt Herausforderungen bei den Vorschriften, aber wir glauben, dass die Zahl der erfolg reichen Beispiele allmählich zunehmen wird. Die Welt entwi ckelt sich kontinuierlich weiter. Also müssen wir darauf vorbe reitet sein, um von diesen Trends nicht abgehängt zu werden. Werden neuere Analysegeräte oder Software-Versionen selbstlernend sein? STRÅHLÉN Dass unsere Produkte bisher nicht mit selbstler nender KI arbeiten, hat zwei Gründe. Erstens war es das Ziel von CellaVision, eine Standardisierung der Differenzialzählung zu ermöglichen. Dabei ist es wichtig, dass alle Analysesysteme unabhängig von Labor und Zeit identisch arbeiten. Zweitens war, wie angesprochen, das regulatorische Umfeld der Medi zintechnik eine Herausforderung. Änderungen an der Vorklas sifizierungssoftware müssen auf kontrollierte Weise erfolgen, mit vielen Tests und Validierungen. Aber ich bin sicher, wir werden schneller vorankommen, als wir uns das heute vorstel len können. XTRA 1/2025 57