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Klinik im Himmel

XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2023

Das Himalayan Sherpa Hospital wurde im November 2022 eröffnet und befindet sich auf 3.000 Metern Höhe. Gebaut hat es der Chefarzt Dr. Matthias Baumannaus Sigmaringen. Welche Rolle dabei Naturkatastrophen spielten und wie heute Diagnostik vor Ortgelingt – eine schicksalhafte Lebensgeschichte

Text Verena Fischer

Als leidenschaftlicher Bergsteiger hat sich Unfallchirurg und Sportmediziner Dr. Matthias Baumann immer wieder als Expeditionsarzt auf die höchsten Gipfel der Welt gewagt. 2014 sollte es mit einer US-amerikanischen Expedition von Nepalseite aus auf den Mount Everest gehen. Einen Tag vor Expeditionsbeginn im Basislager: Um 6.30 Uhr wird Baumann von einem ohrenbetäubenden Lärm aus dem Schlaf gerissen. Blitzartig schnellt er aus seinem Zelt und wird Zeuge, wie sich direkt vor seinen Augen ein riesiger Hängegletscher löst, in den Khumbu Eisfall donnert und eine vier Kilometer lange Lawine ins Rollen bringt. „Mir war klar, es musste Tote geben.“ Von dem Zeitpunkt an zählte jede Sekunde. Baumann weckte alle Expeditionsleitenden, die sich sofort aufmachten, um nach Verletzten zu suchen. „Zur gleichen Zeit habe ich mich nach anderen Ärzten umgesehen“, berichtet er mit Erfolg. Wenig später hatte Baumann ein Team aus vier Medizinerinnen und Medizinern zusammen. Es dauerte eine Stunde, bis der Rettungshubschrauber ankam, und zwei Stunden, bis die ersten Verletzten bei Baumann im Basislager eintrafen. „Ich hatte Erfahrung als Notfallarzt mit Hubschraubereinsätzen, das hat mir sehr geholfen“, berichtet er. Die Verletzten wurden im Basislager nach Schweregrad behandelt. „Es gab ein Medizinzelt, das aber eigentlich nur für Husten, Schnupfen, Heiserkeit ausgestattet war. Alles Weitere haben wir spontan improvisiert.“ Expeditionen auf den Mount Everest waren vorerst nicht möglich, aus Sicherheitsgründen und aus Respekt vor den Verstorbenen. „Ich hatte noch vier Wochen Zeit und wollte etwas Gutes machen“, erzählt Baumann und beschloss, die Familien der verstorbenen Sherpas aufzusuchen und sein restliches Reiseguthaben von 5.000 Euro unter ihnen aufzuteilen. Also machte er sich auf den Weg. „Ich habe jeder Familie 300 Euro gegeben und große Dankbarkeit erlebt. Für mich stand fest, dass ich die Familien langfristig unterstützen möchte.“ Um mehr Geld zu besorgen, besuchte Baumann einen befreundeten Radiomoderator in seinem Studio: „Ich habe einen Spendenaufruf durchgegeben und es gab große Hilfsbereitschaft.“

Eine neue Katastrophe

Ein Jahr später machte sich Baumann auf den Weg, um die Familien und Schulen noch einmal zu besuchen und mit den Spendengeldern Patenschaften zu organisieren. Er war gerade wieder in Deutschland gelandet, als ein schweres Erdbeben Nepal erschütterte. „Es war ein Automatismus: Ich habe ein Ticket gebucht und bin direkt wieder zurück“, erzählt er. Vor Ort erwartete ihn die totale Zerstörung: „Ich habe einen Patienten nach dem anderen operiert. So was hatte ich noch nie gesehen.“ Mehr als 10.000 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben. Als einziger ausländischer Arzt wurde Baumann gebeten, auch noch in die Dörfer rauszufahren und Verletzte vor Ort zu behandeln. „Da wurde mir erst klar, wie schlimm es wirklich war. Die Dörfer waren komplett zerstört.“ Baumann überlegte nicht lange und gründete mit Freunden die Spendenorganisation „Sherpa Nepalhilfe“. Internationale Reporterinnen und Reporter riefen minütlich bei ihm an, um aktuelle Informationen über die Lage zu erhalten, und Baumann nutzte die Interviews für Spendenaufrufe. „Mit dem gesammelten Geld haben wir Dörfer und Schulen wieder aufgebaut“, berichtet er. Das größte Projekt war der Bau eines Krankenhauses auf 3.000 Metern Höhe, das im November 2022 eröffnet wurde. „Der Bau hat fünf Jahre gedauert, auch wegen der Pandemie. Außerdem musste sämtliches Baumaterial über sieben Tage zum Standort getragen werden.“

Diagnostik in der Höhe           

Heute ist das Himalayan Sherpa Hospital einsatzbereit, es wird von nepalesischen Medizinerinnen und Medizinern geführt, Erkrankte erreichen die Klinik zu Fuß oder werden von ihren Angehörigen getragen. POCT-Analysegeräte für die Klinische Chemie sowie für die Hämatologie sind mit einem Hubschrauber geliefert worden. Eine Laborassistentin kümmert sich vor Ort um die Analysen – neben Blutbildern sind es vor allem Elektrolytbestimmungen, Urinuntersuchungen, Schwangerschafts und Coronatests, die durchgeführt werden. „Mir ist wichtig, dass die Klinik von Einheimischen geführt und gemanagt wird“, kommentiert Baumann. „Ausländische Mediziner, Krankenpfleger und Labormitarbeiter sind aber jederzeit willkommen, um für einige Wochen zu bleiben und Wissen zu transferieren.“ Die Nepalesinnen und Nepalesen seien übrigens hervorragende Lehrmeister, obwohl es sich um eines der ärmsten Länder handelt, werde nie gemeckert: „Nepalesen sind Profis in Zufriedenheit, davon können wir uns eine Scheibe abschneiden.“

Summary

  • Der Unfallchirurg Dr. Matthias Baumann hat das Himalayan Sherpa Hospital am Mount Everest erbaut
  • Eine inspirierende Lebensgeschichte und ein Beispiel für die Notwendigkeit von POCT-Analytik an entlegenen Orten
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