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Lotsen im Tsunami

XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2025

Digitalisierung und künstliche Intelligenz wappnen gegen die Bilderflut in der Krebsmedizin – und modernisieren nebenher die Pathologie

Text: Verena Fischer 
Fotos: Sven Döring 


Mit der Software von Katana Labs wird das lästige Zählen von FISH-Signalen am Mikroskop überflüssig

Die weißen Ringe zeigen, welche Zellkerne von der Software automatisch erkannt und ausgewertet werden. Dabei zählt sie die grünen und roten Punkte – das sind die Signale der FISH-Sonden – und berechnet ihr Verhältnis. So kann man zum Beispiel feststellen, ob ein bestimmtes Gen übermäßig aktiv ist. Durch das Einscannen der Probe und die automatische Auswertung spart man sich das aufwendige Zählen am Mikroskop

Den langfristigen Nutzen im Blick haben die Pathologinnen und Pathologen am Universitätsklinikum Dresden. Sie arbeiten erfolgreich mit dem KI-Start-up Katana Labs zusammen und testen erfolgreich die KI-Bilderkennung


Blaue Wolken mit neonfarbig leuchtenden Punkten – wie unheilvolle Geister in tiefschwarzer Nacht wirken sie auf den Laien. Die Expertin und der Experte sehen oft Unheilvolles. Die Rede ist von den typischen Bildern der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung, kurz FISH. Mit diesem Verfahren gehen Pathologinnen und Pathologen am Uniklinikum Dresden auf die Suche nach spezifischen genetischen Veränderungen in Gewebeproben. Solche sogenannten Biomarker helfen, Krebserkrankungen besser zu verstehen, genauer zu differenzieren und letztlich effektiver zu bekämpfen. Es ist eine Erfolgsgeschichte.

Aber die Flut der Bilder nimmt zu – eine Folge alternder Bevölkerungen und der Zunahme der individualisierten Präzisionsdiagnostik. Zudem wächst die Fülle der zu untersuchenden Biomarker – ein Erfolg der Krebsforschung. Obendrein können immer weniger geschulte Augenpaare diese Flut an Bildern und Biomarkern auswerten. Vom „Krebs-Tsunami“ ist die Rede, der auf eine alternde Gesellschaft im Allgemeinen und eine altersbedingt schrumpfende Pathologie im Besonderen zurollt. Die Erfolgsgeschichte braucht einen zweiten Akt. Schnell.

PD Dr. Ulrich Sommer und Dr. Falk Zakrzewski schreiben daran. Sommer ist Oberarzt am Institut für Pathologie des Universitätsklinikums Dresden (UKD). Zakrzewski ist Gründer eines KI-Start-ups namens Katana Labs. Gemeinsam mit Technologiepartnern aus der Sysmex Gruppe wollen sie die Pathologie digitalisieren, wollen mit künstlicher Intelligenz und automatisierter Bilderkennung Pathologinnen und Pathologen entlasten und am Ende sogar noch bessere Empfehlungen für personalisierte Krebstherapien geben. Es ist ein hehres Ziel und ein weiter Weg: „Wir sind eine alte Disziplin“, sagt Sommer. „In der Pathologie, würde ich mutmaßen, liegt der Digitalisierungsgrad heute bei weniger als einem Prozent.“ Auch Start-up-Gründer Zakrzewski weiß: „Das hier ist ein Mammutprojekt, aber die ersten und wichtigsten Schritte sind gemacht!“

Dass die Geschichte in Dresden spielt, ist kein Zufall. Das Universitätsklinikum Dresden ist das größte Krankenhaus Sachsens und dessen Pathologie ein wichtiges Zentrum weit über den Freistaat hinaus. „Wir versorgen nicht nur das Uniklinikum, sondern analysieren Befunde aus halb Ostdeutschland und letztlich aus Teilen von Bayern“, erklärt Sommer. Die genauen Zahlen kennt Dr. Silke Zeugner, Laborleiterin der Molekularpathologie am UKD: „Im vergangenen Jahr haben wir rund 7.000 Fälle bearbeitet, wobei ein Fall durchaus drei Analysen und mehr erfordern kann. Tendenz steigend!“

Mühevolle Handarbeit

Der Leistungskatalog des Labors reicht von A wie Anaplastische Lymphomkinase (ALK) bis Z für das ZRSR1-Gen. „Die Pathologie gibt es schon sehr lange. Die Molekularpathologie dagegen ist jünger und ein unfassbar breites und sehr schönes Gebiet, das wirklich keinen Stillstand kennt und ununterbrochen wächst“, schwärmt Zeugner.

Dieses Wachstum bedeutet für Zeugners Team immens viel Handarbeit und erfordert individuelles Knowhow und Geschick. Am Beispiel FISH wird das deutlich: Bei diesem Verfahren docken eigens dafür produzierte DNA-Fragmente selbstständig an gesuchte Abschnitte im Chromosom an. Oxford Gene Technology (OGT), seit 2017 Teil der Sysmex Gruppe, produziert die dazu nötigen DNA-Fragmente, sogenannte FISH-Sonden. Die sind mit fluoreszierenden Farbstoffen versehen. Als leuchtende Punkte sind sie unter dem Mikroskop zu erkennen und zu zählen. So lassen sich das Auftreten, Fehlen oder Verrücken bestimmter Gensequenzen im Erbgut einer Gewebeprobe nachweisen. Wer weiß, wonach er sucht, findet den genetischen Fingerabdruck einer bestimmten Krebsart.

„Ohne unsere Befunde gäbe es so etwas wie eine personalisierte Krebstherapie nicht“

Dr. Ulrich Sommer

PD Dr. Ulrich Sommer, Oberarzt in der Molekularpathologie am Universitätsklinikum Dresden, ist überzeugt, dass die Digitalisierung der Pathologie nicht nur die Arbeit der Pathologinnen und Pathologen verändern wird, sondern auch den Patientinnen und Patienten nutzt.

Dr. Falk Zakrzewski, CEO und Customer Projekt Coordination bei Katana Labs, hat bereits während seiner Diplom- und Doktorarbeit das Potenzial der KI-Bilderkennung erkannt, als er sah, wie viel Zeit beim Abzählen einzelner Zellen verging.

„Das hier ist ein Mammutprojekt, aber die ersten und wichtigsten Schritte sind gemacht!“

Dr. Falk Zakrzewski

Zuvor muss aber jede entnommene Gewebeprobe von Hand präpariert und untersucht werden: eingebettet in einen Paraffinblock in mikrometerdünne Schichten geschnitten, mit der jeweiligen DNA-Sonde versehen und dann unter dem Mikroskop begutachtet. Mit geschultem Auge interpretieren und zählen die Mitarbeitenden in abgedunkelten Räumen die Verteilung der fluoreszierenden Punkte. Eine mühevolle Aufgabe, die immense Konzentration erfordert. Angesichts der steigenden Fallzahlen und immer differenzierterer Analysen kommen selbst große Labore wie das am UKD an ihre Grenzen.

Hier kommt Katana Labs ins Spiel. Das Unternehmen hat seinen Sitz zwei Kilometer Luftlinie von der Pathologie auf der anderen Seite der Elbe. Es entstand 2023 als Ausgründung der Technischen Universität Dresden.

Prof. Dr. Daniela Aust, Vizedirektorin des Instituts für Pathologie und Leitung der Speziallaboratorien am Universitätsklinikum Dresden, steht hinter der nötigen Mehrarbeit beim Digitalisieren der Gewebeproben und sieht den langfristigen Nutzen.

Dr. Silke Zeugner, Laborleitung Molekularpathologie am Universitätsklinikum Dresden, schwärmt für ihr Fachgebiet, das mit dem Aufkommen der ersten handfesten Biomarker eine große Dynamik entwickelt hat.

Sekunden statt Stunden

Bereits während seiner Diplom- und später der Doktorarbeit hat Gründer Zakrzewski eigene Erfahrungen mit FISH-Analysen gemacht. „Ich sah damals, wie sich die Leute abquälen und immens viel Zeit am Mikroskop verbringen.“ Schnell erkannte der Bioinformatiker das Potenzial: „Statt stundenlang einzelne Zellen zählen zu müssen, könnte eine trainierte KI-Bilderkennung das Gleiche als Hilfsmittel binnen Sekunden für den Pathologen leisten.“ Gemeinsam mit einem Team aus Datenanalystinnen und -analysten, Mathematikerinnen und Mathematikern sowie Informatikerinnen und Informatikern entwickelte er so die ersten Prototypen auf Basis sogenannter Convolutional Neural Networks (CNN). Diese extrahieren automatisch Merkmale aus großen Mengen Bilddaten und lernen, Objekte oder Muster zu klassifizieren.

PAIKON heißt das erste Produkt, das Katana Labs daraus entwickelt hat und das am UKD von Zeugners und Sommers Teams bereits erfolgreich getestet wird. Es ist trainiert auf die FISH-Analyse von HER2 – ein gängiger Test zur Klassifikation von Brustkrebszellen. HER2, der Human Epidermal Growth Factor Receptor 2, ist bei einigen besonders aggressiven Brustkrebstypen verstärkt aktiv oder „amplifiziert“. PAIKON hilft den Pathologinnen und Pathologen am UKD, die Signale dieses Biomarkers schnell zu identifizieren und zu quantifizieren. Statt manuell 50 Zellen in einer halben Stunde auszuzählen, erkennt die KI Hunderttausende Zellen binnen Sekunden.

„Das Ausgangsmaterial ist immer die Gewebeprobe, den digitalen Patienten gibt es nun mal nicht“

Dr. Silke Zeugner

Ungehobene Schätze

Katana Labs hat das System mit unzähligen digitalen Bildern von FISH-Proben gefüttert. Das Problem: Diese Proben lagen bislang kaum als digitale Bilddateien vor. Zur Befundung und auch zum Training neuer CNNs müssen sie erst eingescannt werden. „Bei uns kommt dieser Digitalisierungsschritt heute noch immer on top“, sagt Zeugner. „Das Ausgangsmaterial ist immer die Gewebeprobe, und den digitalen Patienten gibt es nun mal nicht.“

Sommer blickt etwas neidvoll auf die Radiologie, wo digitale Bildgebung schon vor Jahrzehnten Einzug hielt, „als die großen Röntgenfilme, die Lichtkästen und Lupen wegfielen“, sagt er. Jetzt arbeite man komplett digital, am Laptop und von überall her. Zudem seien über die Jahre auf diese Weise riesige digitale Bibliotheken entstanden, die sich zum Training künstlicher Intelligenz nutzen ließen. „Bei uns kommt jetzt der aufwendige und teure Schritt des Digitalisierens hinzu, der im Moment den Befundungsprozess sogar erst einmal verlangsamt.“

Damit heben die Mitarbeitenden der Dresdener Molekularpathologie jedoch bislang ungehobene Schätze in Form wertvoller Trainingsdaten für neue KI-Werkzeuge und weitere Biomarker. Der Aufwand ist hoch. Aber mit der Rückendeckung der stellvertretenden Institutsleiterin der Pathologie und Leiterin der Speziallaboratorien Molekularpathologie, Prof. Dr. Daniela Aust, treiben die UKD-Mitarbeitenden die Entwicklung voran.

Insbesondere werden FISH-Proben digitalisiert. Möglich ist das dank eines digitalen Slide-Scanners von Sysmex, dem 3DHistech Pannoramic SCAN II. Mit diesem Scanner können automatisch hochauflösende Fluoreszenzaufnahmen der Gewebeproben erstellt werden.

Eine neue Rolle

„Klar, der Aufwand, den wir jetzt betreiben, rechnet sich nur langfristig und wenn wir diese gesamtgesellschaftliche Dimension mitbetrachten“, meint Sommer. Mit der Entwicklung solcher Tools wappne man schließlich nicht nur das UKD für wachsende Anforderungen. „Wir verändern auch das Bild und die Arbeit der Pathologinnen und Pathologen insgesamt“, sagt er. Das ist wichtig. Denn die Disziplin hat ein gravierendes Nachwuchsproblem. Zumal die Nachfrage eigentlich steigt. In den USA gehen manche Prognosen davon aus, dass bis 2030 knapp 6.000 Pathologinnen und Pathologen fehlen könnten. Auch in Deutschland geht eine große Kohorte in den kommenden fünf bis zehn Jahren in den Ruhestand. Deutlich zu wenige Medizinerinnen und Mediziner rücken nach.

„Dabei ist unsere Disziplin wirklich sexy!“, sagt Sommer. „Es gibt wenige Fächer, die so nah dran sind an der Forschung.“ Pathologinnen und Pathologen setzen die neuesten Entwicklungen um und bringen sie in Teilen auch selbst hervor. Vom Neugeborenen bis hin zum Hochbetagten, von entzündlichen Erkrankungen über Autoimmunleiden bis zu benignen und malignen Erkrankungen gehört für diese Berufsgruppe alles zum Alltag. „Eigentlich sind wir Allgemeinmediziner im besten Sinn“, meint Sommer. Und so könnte die Digitalisierung gleich in mehrerlei Hinsicht helfen, den Berufsstand der Pathologinnen und Pathologen zu revolutionieren. „Die Digitalisierung hilft uns, die wachsende Arbeit auch künftig schnell, genau und in hoher Qualität zu bewältigen, was am Ende den Klinikern und den Patienten nutzt“, meint Laborchefin Zeugner. Digitalisierung hilft aber auch anders: „Wer Befunde rein digital am Laptop von überall bewerten kann, der hat auch deutlich mehr Chancen auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance“, sagt Sommer, wieder mit dem etwas neidvollen Blick auf die Kolleginnen und Kollegen der Radiologie.

Vor allem aber helfe der digitale Fortschritt in der Molekularpathologie, das Bild der Pathologie an sich zurechtzurücken: „Diesen alten Ruf vom ‚postmortalen Besserwisser‘, der ja eh nur am toten Gewebe arbeitet, hat mit der Realität längst nichts mehr zu tun“, sagt Sommer. „Wir sind heute vielmehr die Lotsen für die Krebsmedizin. Ohne unsere Befunde gäbe es so etwas wie eine personalisierte Krebstherapie nicht.“ Gut zu wissen, dass diese Lotsinnen und Lotsen in der Flut der Bilder weiter den Durchblick bewahren.

SUMMARY

  • Am Universitätsklinikum Dresden wird erfolgreich die KI-Bilderkennungssoftware von Katana Labs getestet
  • Langfristig kann die Digitalisierung das Fach der Pathologie revolutionieren und helfen, die wachsende Arbeit zu bewältigen
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